Der Schnee vorm OLG
Am 20. März 2018 fand am Oberlandesgericht Brandenburg die erste Verhandlung zur „Altanschließerproblematik“ bezüglich Schadensersatz bei bestandskräftigen Beitragsbescheiden für einen Abwasseranschluss auf der Grundlage des gültigen Staatshaftungsgesetzes des Landes Brandenburg statt.
Vorbemerkung:
In unserem Verein spielen die Schadensersatzklagen auf der Grundlage des Staatshaftungsgesetzes (https://www.iwa-ev.de/ddr-in-brandenburg/) zwar nicht die Hauptrolle aber die hier dargestellte Situation lässt Rückschlüsse auf die gesamte Problematik der Rechtslage auf dem Gebiet der Wasserver- und -entsorgung im Land Brandenburg zu.
Schadensersatzklagen bei bestandskräftige Bescheiden auf der Grundlage des Staatshaftungsgesetzes werden von den Zivilgerichten (Landesgericht, Oberlandesgerichte, Bundesgerichtshof) verhandelt, wohingegen Rückzahlungsklagen bei nichtbestandskräftigen Bescheiden dem Verwaltungsrecht (Verwaltungsgericht, Oberverwaltungsgericht, Bundesverwaltungsgericht) unterliegen. Darüber steht das Bundesverfassungsgericht.
Zur Sachlage:
Der Wasser- und Abwasserzweckverband Scharmützelsee-Storkow/Mark hatte 2011 einem Grundstückseigentümer einen Abwasseranschlussbeitrag in Höhe von ca. 1.300 Euro in Rechnung gestellt. Das Grundstück wurde bereits vor dem 01. Januar 2000 an das Abwassernetz angeschlossen. Der Kläger legte fristgemäß innerhalb von vier Wochen Widerspruch gegen diesen Beitragsbescheid ein. Der beklagte Zweckverband wies im Jahr 2014(!!) den Widerspruch zurück. Aus welchen Gründen (Zeit, Aufwand, Kenntnisse, vorliegende Gerichtsentscheide) auch immer eröffnete der Kläger kein Klageverfahren. Damit erreichte der Beitragsbescheid von 2011 Bestandskraft.
Schon daraus ergibt sich, dass das Rechtsbewusstsein des Klägers weiter entwickelt war als das von vielen hochrangigen Rechtsanwälten oder/und Abgeordneten, denn er erahnte zumindest die gesetzwidrige Vorgehensweise des Verbandes. Dagegen lag dem Innenausschuss des Brandenburger Landtages bereits seit 2008 ein Gutachten eines ehemaligen Bundesverfassungsrichters vor, in dem diese Praxis der Beitragserhebung als grundgesetzwidrig eingestuft wurde. (Besteht eigentlich die Pflicht einer Klage durch verantwortliche Funktionsträger, wenn die Gefahr einer Grundgesetzverletzung besteht?)
Nachdem das Bundesverfassungsgericht am 12. November 2015 den Verdacht des Klägers auf Rechtverletzung durch den Zweckverbandes bestätigte, beantragte der Kläger im Februar 2016 auf der Grundlage des Verwaltungsverfahrensgesetzes die Wiederaufnahme des bestandskräftigen Verfahrens. Das lehnte der Zweckverband im Oktober 2016 ab. Die anschließende Klageerhebung beim Landgericht Frankfurt (Oder) endete im 5. Mai 2017 mit dem Urteil, das dem Antrag auf Rückerstattung des Beitrages nebst Zinsen in Höhe von 5% stattgab. Weitere Einzelheiten findet man im Urteil LG Frankfurt Oder 05.05.2017.
Dagegen legte der Zweckverband beim Oberlandesgericht in Brandenburg an der Havel Berufung ein. Um den Forderungen der Altanschließer Nachdruck zu verleihen, organsierte das Bündnis für Brandenburg/Freie Wähler eine Demo vor dem Gerichtsgebäude.
Altanschließerdemo vor dem Gerichtsgebäude in Brandenburg
Gleich zu Verhandlungsbeginn wies die vorsitzende Richterin darauf hin, wie in einer Pressemeldung bereits vermerkt, dass unabhängig vom Ausgang dieses Prozesses eine Berufung am Bundesgerichtshof zugelassen wird. Das Land Brandenburg hat dem Zweckverband neben den beiden Anwälten noch einen Streithelfer als Beistand zur Verfügung gestellt. Der Kläger wurde deshalb zusätzlich von RA Herrn Mittag (http://www.rechtsanwalt-mittag.de/Neues-vom-Schwarzen-Kanal) vertreten.
RA Herr Mittag vor dem Verhandlungsbeginn
Von vorn herein war jedoch abzusehen, dass diesmal die Entscheidung zugunsten des Zweckverbandes fallen wird. Auf Grund der sehr schlechten Akustik im Verhandlungssaal können die Argumente im Einzelnen hier nicht widergegeben werden. Diese sind aber nach der Bekanntgabe der Entscheidung am 17. April 2018 in der Urteilsbegründung nachzulesen.
Nach der zu erwartenden Entscheidung wird das OLG der Berufung des Zweckverbandes entsprechen, denn nach Meinung des Gerichtes ist auf diesen Fall das Staatshaftungsgesetz nicht anwendbar. Der Zweckverband ist laut OLG auch schuldlos, denn er musste nach den damaligen Urteilen und Gesetzen den Anschlussbeitrag verlangen, allein schon wegen der Kostendeckung der Abwasserentsorgung. Außerdem sei der Beitragsbescheid bestandskräftig, denn der Verband benötige Rechtssicherheit und muss darauf vertrauen können, dass er nach Jahren nicht verurteilt wird, den Anschlussbeitrag zurückzuzahlen. Und die Landesegierung ist auch unschuldig, da nach der Auslegung des Beschlusses des BVerfG durch das Brandenburger Oberverwaltungsgericht nicht das aktuelle Kommunalabgabegesetz (KAG) von 2004 grundgesetzwidrig ist, sondern nur dessen Anwendung. Denn, wie in diesem Fall geschehen, kann eine Kammer des BVerfG nicht über die Gesetzmäßigkeit des KAG entscheiden; dazu hätte es eine Entscheidung des Senates bedurft. Wenn also durch die Aussage des Oberlandesgerichts, dass hier legislatives Unrecht, also Unrecht hervorgerufen durch den Gesetzgeber (Parlament), vorliegt, müsste also das Urteil des Oberverwaltungsgerichtes vom Februar 2016 oder der Beschluss des BVerfG von 2015 revidiert werden.
Aber vermutlich spielt hier die finanzielle Seite dieses Durcheinanders die Hauptrolle, denn nach diversen Aussagen von der Landesregierung handelt es sich hier um Beträge von insgesamt 600 bis 900 Millionen Euro.
Bemerkung zum Argument der kostendeckenden Finanzierung der Abwasserentsorgung
Zur Unterstützung der Rückzahlungen nichtbestandskräftiger Beitragszahlungen stellte die Landesregierung nach dem Beschluss des BVerfG von 2015 den Verbänden in Brandenburg insgesamt 200 Millionen Euro als zinslose Kredite zur Verfügung. Dieser Betrag wurde aber nur zu einem Bruchteil in Anspruch genommen, d.h. aber nur, dass die Verbände für die Rückzahlung der gesetzwidrig eingenommenen Beiträge selbst genug Geld besaßen oder, nach den Worten des Innenministers, in der Vergangenheit „gut gewirtschaftet haben“. So etwas darf allerdings nicht passieren, da es das KAG verbietet, vorsätzlich höhere Gebühren als benötigt einzunehmen und falls die Einnahmen doch einmal die Kosten übersteigen, ist diese sogenannte Überdeckung den Kunden gebührensenkend nach zwei Jahren zurückzugeben, d.h. als kommunale Einrichtung darf der Zweckverband nicht gewinnorientiert wirtschaften. Allerdings gibt es von mehreren Seiten Versuche dieses Prinzip aufzuweichen, beispielsweise hat Bündnis90/Die Grünen versucht, den Rückzahlungszeitraum von zwei Jahren massiv zu verlängern, ist aber mit seien Anträgen bisher gescheitert. Dieses Problem der vorsätzlichen kostenüberschreitenden Kalkulation der Gebühren und deren Nichtzurückzahlung ist möglicherweise in Brandenburg das nächste Problem, das den mit der Trinkwasserversorgung und Schmutzwasserentsorgung beschäftigten Behörden auf die Füße fallen wird.
Die Rechtssicherheit und das Vertrauen der Bürger in die Behörden, die der Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom November 2015 eigentlich herstellen will, wird durch dieses Brandenburger Geeiere nicht erreicht. Das Gegenteil ist der Fall. Wahrscheinlich endet auch das erst wieder in Karlsruhe beim Bundesgerichtshof oder beim Verfassungsgericht.
Die Leute die diesen Schlamassel verursacht haben, sind nicht zu beneiden oder doch? Die meisten geben nach vorliegenden Informationen auch heute noch den Ton an.
Helmut Grosser